Los 1003
Baumeister, Willi
Schätzpreis:
35.000 € - 45.000 €
Ergebnis:
68.635 € inkl. Aufgeld und Mehrwertsteuer
Beschreibung:
Stuttgart, 1889 - 195555 x 81 cm, R.
"Auszug der Giganten", 1947. Öl mit Kunstharz auf Hartfaserplatte. In der nassen Farbe unten rechts signiert und datiert "3 . 47" sowie rückseitig signiert, betitelt, datiert und bezeichnet "Besitz W. B.".
Beye/Baumeister, 1247.
Mario Calabria, München.
Galerie Wolfgang Ketterer Kunst, München, 87. Auktion, 26. - 28. 11. 1984, S. 25, Nr. 112 (mit Farbabb.).
Galerie Orangerie-Reinz, Köln.
Galerie Denise René Hans Mayer, Düsseldorf.
Sammlung Monika und Horst Bülow, Leonberg, dort 1985 erworben.
Literatur:
Will Grohmann, "Willi Baumeister - Leben und Werk", Köln 1963, S. 104, Nr. 894 (mit Abb.), dort als "Aufzug der Giganten I" betitelt.
Günter W. Mühle, "Vom psychologischen Standpunkt aus - zu zwei Bildern von Willi Baumeister und Max Ernst", in: "Das Kunstwerk", Jg. 4, 1950, Heft 8/9, S. 57 ff. (mit Abb.).
Nicola Assmann, "Willi Baumeister - Die Illustrationen. In der Bewegung mit alten außereuropäischen Kulturen auf dem Weg zu einer neuen Formensprache", Phil. Diss., Münster 1998, S. 269.
Willi Baumeister zählt zu den zentralen Figuren der europäischen Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Werk umfasst die Auseinandersetzung mit Expressionismus, Konstruktivismus und Abstraktion, doch blieb es stets von einer unverwechselbaren, eigenständigen Formensprache geprägt. Mit dem Gemälde "Auszug der Giganten" aus dem Jahr 1947 präsentiert sich Baumeister auf dem Höhepunkt seiner schöpferischen Erneuerung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Der Titel eröffnet ein mythisch aufgeladenes Assoziationsfeld: "Giganten" - in der antiken Mythologie jene urzeitlichen Riesen, die in Kämpfen gegen die Götter antraten - erscheinen hier nicht als konkrete Gestalten, sondern als machtvolle, archaisch anmutende Formgebilde. Das Wort "Auszug" deutet Bewegung an, das Überschreiten einer Schwelle, den Beginn einer Wanderung. In der Nachkriegszeit, in der Baumeister dieses Werk schuf, erhält diese Bildidee besondere Resonanz: Sie lässt sich deuten als Sinnbild des Aufbruchs nach der Katastrophe des Krieges, als Metapher für die Kräfte, die eine zerstörte Gesellschaft hinter sich lassen, um Neues zu wagen.
Baumeister schafft mit Öl und Kunstharz eine Oberfläche von großer Dichte und Körperhaftigkeit. Die Komposition wirkt wie ein Gefüge aus figurenhaften Formationen, deren Umrisse sich in vibrierenden Farbfeldern nur andeuten. Rosa-, Ocker- und Blauwerte, von Schwarz durchzogen und von Akzenten in Rot und Gelb belebt, erzeugen ein vielschichtiges Rhythmusfeld. Die Figuren sind nicht porträtiert, sondern aus Farbmaterie geboren - ein wesentliches Kennzeichen von Baumeisters abstrakt-figurativer Phase.
Die links gesetzte, kreisförmig rhythmisierte Struktur wirkt wie ein Echo oder eine Zeichenformation, die an prähistorische Symbole oder frühe Schriftbilder erinnert. Damit verknüpft Baumeister das Thema der "Giganten" mit einer Reflexion über Ursprünge, über archaische Ordnungen und das kollektive Gedächtnis der Menschheit.
1947 war für Baumeister eine Schlüsselzeit: Zwei Jahre zuvor hatte er nach dem "Malverbot" während der NS-Zeit seine künstlerische Arbeit wieder in voller Öffentlichkeit aufgenommen. Mit einer Reihe bedeutender Gemälde, die mythisch-archaische Themen in abstrakt-figurativer Sprache verarbeiteten, fand er Anschluss an die internationale Avantgarde. Seine Teilnahme an der Biennale in Venedig (1948) und die wachsende internationale Rezeption zeigen, wie zentral die Arbeiten dieser Jahre für sein Œuvre sind.
Werke wie "Auszug der Giganten", die unmittelbar in den Jahren des Wiederaufbaus entstanden, gehören heute zu den besonders gefragten Positionen Baumeisters. Sie vereinen die Dramatik des Zeitgeschehens mit einer universalen Bildsprache, die bis heute modern wirkt. Mit klarer Provenienz, Signatur und Werkverzeichnisnummer (Beye/Baumeister 1247) besitzt das Gemälde nicht nur höchste Authentizität, sondern auch eine sichere kunsthistorische Verortung.
Die seltene Verbindung von mythischer Bildidee, formaler Dichte und zeithistorischer Bedeutung macht "Auszug der Giganten" zu einem Schlüsselwerk innerhalb von Baumeisters Nachkriegsproduktion - und zu einem Sammlerstück von außerordentlicher Attraktivität.


